Nur bestimmte Schwellen werden noch wirklich gebraucht!

Verschwendung von Steuergeldern für den Bau von Barrieren?

ein weiteres Foto von Magnet-Nullschwelle ohne zusätzliche Rinne, sturzpräventiv ©-Ulrike-Jocham-die-Frau-Nullschwelle.jpeg

Nullschwellen auch zu Freisitzen sind schon seit über 20 Jahren technisch gelöst und ermöglichen nicht nur Barrierefreiheit, sondern bauseitige Sturzprophylaxe – beides unverzichtbar in der Profession Pflege. Weshalb fördert das Wirtschaftsministerium BW trotzdem den Bau von technisch überholten Türschwellen auf einem Markt der demografietaugliche Immobilien mehr als dringend braucht? Foto: Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Verschwendung von Steuergeldern in Millionenhöhe: In diesem Blogbeitrag gibt es eine kurze Zusammenfassuung der spannenden Nullschwellen-Petition aus Baden-Württemberg:

Wenn beim aktuellen Mangel an barrierefreien Wohnungen nicht einmal mit Steuergeldern bezuschusste Seniorenwohnanlagen und Pflegeheime im Neubau barrierefrei gebaut werden, dann läuft etwas gewaltig schief. Im Herbst 2019 hat der SWR veröffentlicht, dass die nächsten Jahrzehnte rund 500.000 barrierefreie Wohnungen für Senioren allein in Baden-Württemberg fehlen werden. Die Nullschwellen-Petition kritisiert zwei neue öffentlich geförderte Pflegeimmobilien, die ausschließlich für ältere Menschen und Menschen mit Behinderung gebaut und trotzdem mit gefährlichen und nach der Norm für Barrierefreiheit unzulässigen Türschwellen ausgestattet wurden. Für ältere Menschen sind diese Stolperfallen allein aufgrund der fehlenden Sturzprävention gebrauchsuntauglich. Viele Senioren haben eine Fußheberschwäche und bleiben beim Laufen besonders an kleinen Schwellen hängen, da diese schlecht zu erkennen sind. Und jeder weiß, was bei Stürzen insbesondere von älteren Menschen alles passieren kann – im Worstcase Bettlägerigkeit oder sogar Tod. Den Bau von derartigen bauseitig fest eingebauten Gefahren auch noch mit Steuergeldern zu fördern, ist ein Skandal! Für viele Menschen mit Behinderung stellen diese Barrieren ein unüberwindbares Hindernis dar, sie kommen nicht auf den Balkon? Im Altbau wird händeringend versucht, alle Stolpergefahren zu beseitigen.

 

Zum Thema „altersgerecht“ Umbauen betont z.B. Wüstenrot, dass die wichtigste Grundlage für eine barrierefreie Wohnung im Bestand u.a. der Wegfall aller Schwellen innerhalb des Wohnbereichs ist. Und das Wirtschaftsministerium BW fördert mit rund 4,4 Mio. zinslosem Darlehen Seniorenwohnungen, die im Neubau technisch längst überholte Türschwellen aufweisen?! Wer kontrolliert so eine Verschwendung von Steuergeldern?

 

Immer mehr Steuergelder werden für den Barrierereabbau in bestehenden Gebäuden verwendet. Laut der KFW sind die Fördermittel für Maßnahmen zur Barrierereduzierung im Rahmen des Programms „Altersgerecht umbauen“ aktuell sogar vom 75 Millionen auf 100 Millionen Euro erhöht worden.

Verwendung von Steuergeldern zum Schaden der Steuerzahler

Und das Wirtschaftsministerium BW fördert im Jahr 2017 in einer neuen betreuten Seniorenwohnanlage mit 32 Wohnungen in Freiburg-Weingarten trotzdem den Bau von Barrieren zu den Balkonen, (mehr dazu siehe Artikel „Wir bleiben dran!“aus BEHINDERTE MENSCHEN 4/5-2017) die nun die nächsten Jahre und Jahrzehnte um ein vielfaches teurer auf Kosten der Steuerzahler, der Pflegeversicherung, der Sozialämter und der Nutzer wegen Gebrauchsuntauglichkeit für viele wieder zurückgebeugt werden müssen – weshalb? Dieses Gebäudes wurde laut Badischer Zeitung mit rund 4,4 Mio. zinslosem Darlehen aus dem Landeswohnraumförderungsprogramm begünstigt. Weshalb? Diese Pflegeimmobilie als Betreutes Wohnen ist eines der beiden kritisierten Objekte der Nullschwellen-Petition. 

Unbelegte Begründungen für schädliche Barrieren

Im Rahmen der Nullschwellen-Petition werden bis heute die Aussagen der Ministerialdirigentin Kristin Keßler vom Wirtschaftsministerium geprüft, die im Jahr 2017 in einem Schreiben behauptet, dass Betreutes Wohnen keine heimähnliche Einrichtung sei. Deshalb würden laut Keßler die Wohneinheiten bauordnungsrechtlich als Wohnungen betrachtet und für diese würde grundsätzlich der § 35 Abs. 1 gelten – der Paragraph der Landesbauordnung, der keinen einzigen barrierefreien Balkon fordert. Dies behauptet sie 2017 ohne jegliche Quelle. Wo steht das? Auch vom Petitionsausschuss fehlt bis heute jeglicher Beleg für die weitreichende Behauptung der Beamtin Keßler. (siehe Beschlussempfehlungsberichte zu Petitionen 16/2100und 16/3244)

Mittlerweile hat der Petitionsausschuss 4 Quellen erhalten, die die Behauptungen von Keßler widerlegen:

  1. der § 39 Abs. LBO BW, der für bauliche Anlagen, die von dieser Zielgruppe genutzt werden, eine zweckentsprechende Nutzbarkeit ohne fremde Hilfe fordert
  2. der Kommentar vom Boorberg Verlag (7.Auflage) Landesbauordnung BW, der für alle Gebäude, die ab 50 Prozent von der betreffenden Schutzzielgruppe genutzt werden, umfassende Barrierefreiheit fordert und für die Schutzzielgruppe folgendes beschreibt: „Am stringentesten wirken die Regelungen bei Anlagen, die überwiegend von Menschen mit Behinderung und alten Menschen genutzt werden (§ 39 I). Hier stehen die Belange des geschützten Personenkreises im Vordergrund, Ausnahmen sind unzulässig.“ (Kommentar vom Boorberg Verlag, 7. Auflage, Gerd Hager, Stuttgart 2016, Seite 536f)
  3. die Liste der Technischen Baubestimmungen (LTB) aus 2014
  4. die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VwV TB) aus 2017

Sowohl Quelle 3 als auch Quelle 4 fordern für „Wohnungen“ sowie für Heime und Einrichtungen gemäß des § 39 Abs. 1 umfassende Barrierefreiheit inklusive Freisitze (Balkone). Der Begriff „Wohnungen“ wird in beiden technischen Baubestimmungen im Zusammenhang mit § 39 Abs. 1 neben den Heimen und Einrichtungen aufgeführt. Deshalb stellt sich die Frage, wie eine Ministerialdirigentin im Oktober 2017 behaupten kann, dass Wohnungen, die nicht Teil einer heimähnlichen Einrichtung sind, bauordnungsrechtlich als Wohnungen betrachtet werden und deshalb nicht unter § 39 Abs. 1 fallen? Auch diese nun schon seit Herbst 2017 andauernde Diskussion, ist im Zeitalter von demografischem Wandel und Inklusion sowie dem längst bekannten barrierefreien Wohnungsmangel mehr als befremdlich. Baden-Württemberg braucht Lösungen, nicht die Schaffung neuer Probleme!

Die zweite kritisierte Pflegeimmobilie der Nullschwellen-Petition ist ein Pflegeheim in Erligheim, ebenfalls im Jahr 2017 eröffnet (mehr dazu hier). Diese Pflegeimmobilie wurde laut Bietigheimer Zeitung mit rund 1,11 Mio. kommunalen Mitteln gefördert. Auch in diesem Neubau befinden sich nach der DIN 18040 unzulässige Türschwellen zu den Freisitzen und die untere Baurechtsbehörde hat bereits mitgeteilt, dass Schwellenfreiheit gefordert war. (mehr dazu hier) Doch weshalb reagiert der Petitionsausschuss und das Wirtschaftsministerium BW nicht schon längst und verlangt in diesem Pflegeheim die Umsetzung der Nullschwellen-Stellungnahme und des landeseigenen Nullschwellen-Runderlasses? Der Nullschwellen-Runderlass fordert klar und deutlich:

 

„Die weit verbreitete Annahme, 2 cm hohe Schwellen wären zulässig, traf schon bisher nicht zu. Beim Nachweis der bisherigen unbedingten technischen Erforderlichkeit bzw. der ab 1. Januar 2015 geltenden technischen Unabdingbarkeit sind regelmäßig alle am Markt verfügbaren Produkte zu erwägen. In Fällen, in denen die technische Erforderlichkeit einer Schwelle nur behauptet und nicht substantiiert begründet wird oder in denen die Planung einer schwellenlosen Erschließung gar nur schlicht vergessen wurde, liegen selbstverständlich keine Ausnahmen im Sinne der genannten technischen Regeln vor und es ist auf Herstellung einer schwellenlosen Erschließung zu dringen.“

 

Wo bleibt die Umsetzung des landeseigenen Nullschwellen-Runderlasses? Nullschwellen ohne sturzgefährdenden Türanschlag sind bereits seit über 20 Jahren technisch bis ins letzte Detail gelöst (Best-Practice-Beispiele). Nachdem das ift Rosenheim noch im Jahr 2018 in einer öffentlich geförderten Forschungsarbeit behauptet, dass die Anforderungen der Norm für Barrierefreiheit (18040 Teil 1 und 2) im Bereich Türschwellen wichtigen technischen Leistungsanforderungen teils konträr gegenüberstünden (siehe hier Seite 133), hat Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle, ausführliche Gegenargumente auch an den Fördergeldgeber, dem Bundesinstitut für Bau, Stadt und Raumforschung zugesendet. Im Sommer 2019 korrigiert der Institutsleiter vom ift Rosenheim Prof. Sieberath in einer Veröffentlichung von GFF die erstaunliche Behauptung der ift-Autoren:„Wir wollen an den gesetzlichen Vorgaben nicht rütteln. Die Nullschwelle ist an sich die beste Lösung.“ Insbesondere im Neubau sei laut Sieberath die Nullschwelle gut umsetzbar.

Was die Nullschwellen-Petition betrifft, ist auf jeden Fall klar, dass der Bedarf nach Wohnungen für Senioren und Menschen mit Behinderung sowie die finanzielle Belastung der Pflegeversicherung, der Pflegefachkräfte, der pflegenden Angehörigen und der Steuerzahler beständig zunimmt. Die laut Tagespresse veröffentlichten Förderungen sind in der aktuellen gesellschaftlichen Problemlage inakzeptabel. Die gebauten Barrieren in den geförderten Pflegeimmobilien verschärfen die finanziellen Belastungen bei immer mehr älteren Menschen massiv. Der entstandene Schaden kann nicht beim Steuerzahler bleiben? Jetzt ist Zeit zu handeln.

Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Die Vorgeschichte zur Nullschwellen-Petition

Der Start der Nullschwellen-Petition

Die fragwürdige Einführung und Bekanntgabe des Nullschwellen-Runderlasses von den zuständigen Ministerien

 

4 Comments, RSS

    • Ulrike Jocham

      Vielen Dank für die Unterstützung. Ich wundere mich immer mehr, weshalb der Petitionsausschuss im Landtag BW und alle weiteren Verantwortlichen nicht schon längst entsprechend auf diese Skandale reagiert haben. Jetzt ist Handeln von allen Verantwortlichen gefragt!!!!

  1. Ulla Kenntner

    Die Bauaufsichtsbehörden kontrollieren allenfalls Baupläne. Die tatsächliche Bauausführung wird meist nicht überprüft.
    Letztlich ist das Ganze staatlich unterstützter Subventionsbetrug.

    • Ulrike Jocham

      Vielen Dank auch Ihnen für die Unterstützung!!!! Sie haben Recht, die Bauaufsichtsbehörden kontrollieren erfahrungsgemäß Neubauten viel zu wenig, das ist ein enormes Problem. Allerdings hätte hier beim Bau von Barrieren und Sturzgefahren in öffentlich geförderten Pflegeimmobilien (Förderungen laut Badischer und Bietigheimer Zeitung) das Wirtschaftsministerium BW und der Petitionsausschuss BW allerspätestens beim Erfahren dieser Skandale schon damals den Rückbau der Türschwellen in beiden kritisierten Objekten der Nullschwellen-Petition einfordern müssen! Weshalb dies so lange dauert ist fraglich. Wir brauchen Lösungen und effektiv handelnde Verantwortliche.

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*