Nur bestimmte Schwellen werden noch wirklich gebraucht!

Entstehung Nullschwellen-Runderlass

Wir könnten es längst besser – weshalb machen wir es nicht einfach???? Genau das habe ich mich auch schon im Spätsommer 2014 gefragt. Innerhalb des Bielefelder Modells wurden bereits 2005 in allen Wohnungseingangstüren und in alle Terrassen- und Balkontüren Nullschwellen eingebaut – selbst in den sozial geförderten Wohnungen. Foto: Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Entstehung Nullschwellen-Runderlass: Die Vorgeschichte zum Nullschwellen-Runderlass spielt in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, in Stuttgart.

Anfang September 2014 habe ich beschlossen alles zu unternehmen, damit in der Landesbauordnung Baden-Württemberg eine grundlegende ergonomische Verbesserung und eine größtmögliche Nutzbarkeit von Wohnungen für alle entsteht! Für meine Vision von flächendeckenden besseren Wohn- und Versorgungskonzepten für alle sind Wohnungen, die von allen Menschen lebensphasen- und zielgruppenübergreifend genutzt werden können, unabdingbar. Und aus dem Bielefelder Modell wusste ich, dass dies längst mit interdisziplinärem Know-how und Schmittstellenkompetenz selbst in sozialen Wohnungsbau wirtschaftlich umsetzbar ist. Grundlegende Anforderungen von derartigen Wohnungen sind Nullschwellen an allen Türen und an allen Duschen. Dass die technisch komplett überflüssigen Türschwellen jeder neuen Immobilie beachtlich schaden, wusste ich zu diesem Zeitpunkt schon längst. Sind Türschwellen und Türanschlagdichtungen einmal eingebaut, erzeugen sie schaden und können nur extrem kosteninentsiv und meist nicht ohne technische Nachteile zurückgebaut werden. Mit der Einstellung, dass Veränderung und Verbesserung möglich ist, habe mit dem interdisziplinären Change-Management begonnen! Ich habe Gesprächstermine mit Verantwortlichen vereinbart und mehrere Schreiben verfasst. Ein wichtiger Gesprächspartner im Vorfeld war u.a. der Landtagsabgeordnete Wolfgang Raufelder (†). Von ihm habe ich z.B. erfahren, wen ich am besten anschreibe.

Anfang September 2014: Mein erstes Schreiben vom Spätsommer 2014 an die Verantwortlichen der Novellierung der LBO BW vom 08.09.2014  – Grundlegende Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention für den Wohnungsbau

Mitte September 2014: Ein Schreiben von mir an den Landtagsabgeordneten Wolfgang Raufelder vom 18.09.2014 – schon damals war mir klar, dass Nullschwellen insbesondere im Neubau auch an Freisitztüren technisch schon längst gelöst sind. Laut der Nullschwellen-Stellungnahme von Arbeitsausschuss der DIN 18040 sind Nullschwellen sogar der Regelfall, und auch nach dieser anerkannten Regel der Technik baukonstruktiv realisierbar. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe ich mich gefragt, weshalb dieser Ausnahmefall der bis zu 2 cm hohen Türschwellen überhaupt formuliert wurde. Heute kenne ich Quellen, die belegen, dass mindestens ein Mitglied vom Arbeitsausschuss der DIN 18040 bereits 2009 wusste, dass Nullschwellen an Hauseingängen und an Terrassen- und an Balkontüren technisch möglich sind. Schon 2009 konnte diese Arbeitsausschuss-Mitglied nur einen Ausnahmefall bei Brandschutztüren zu Maschinenräumen aufführen. Heute frage ich ganz konkret, weshalb nicht diese Formulierung in die DIN 18040 aufgenommen wurde, das Wissen war im Arbeitsausschuss vorhanden: „Türschwellen und –anschläge an allen Türen und auch an Hauseingangstüren sowie an Terrassen- und Balkontüren sind unzulässig. Nur in absoluten Ausnahmefällen wie z.B. an Brandschutztüren eines Maschinenraumes dürfen sie max. 2 cm hoch sein.“ (Formulierungsvorschlag Ulrike Jocham) Meine Forderung aus dem Schreiben vom 18.09.2014, den Ausnahmefall zu streichen, war genau die Lösung für die damals längst mögliche Nullschwellen-Forderung bei der Veröffentlichung der DIN 18040 Teil 1 und 2 in den Jahren 2010 und 2011. Die UN-BRK fordert seit 2009  die Anpassung von Normen und Richtlinien im Sinne des Universal Designs – und das bedeutet bei Türen Nullschwellen!!!

Weitere Inhalte meines Schreibens: Hinweis auf die Notwendigkeit von interdisziplinären Kontrollen z.B. bei der Vergabe von Mitteln aus dem Landeswohnraumförderungsprogramm sowie Bitte um multiprofessionelle Weiterbildungen aller beteiligten Professionen in verantwortlichen Behörden

Mitte Oktober 2014: Die 1. Antwort vom Verkehrsministerium BW auf meine Schreiben vom September 2014noch kein Nullschwellen-Erfolg. Das Verkehrsministerium erteilt den Nullschwellen-Forderungen eine 1. Absage: „Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass die Landesregierung den Gesetzentwurf zur Änderung der LBO bereits Anfang Juni 2014 in den Landtag eingebracht hat. Es ist daher nunmehr allein Sache des Landtags, im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren über das Gesetz zu entscheiden.“ Doch was ist mit der bedeutenden Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der DIN 1804o bereits aus dem Jahr 2013? Es musste eine Antwort auf das Schreiben vom Verkehrsministerium BW folgen, damit diese Infos in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einfließen kann!

Ende Oktober 2014: Meine Antwort auf das 1. Schreiben vom Verkehrsministerium BW am mich mit dem wichtigen Hinweis auf die bundesweit bedeutende Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der DIN 18040. Seitdem ist geklärt, dass Nullschwellen den Regelfall nach der DIN 18040 als anerkannte Regel der Technik darstellen. Je 1 – 2 cm hohe Türanschlagdichtung muss seitdem sogar von einem Sachverständigen technisch begründet werden können, was bei Hauseingängen und bei Terrassen- und Balkontüren seit 1996 im Zeitalter von demografischem Wandel und Inkluison nicht mehr möglich ist.

Mitte November 2014: Die 2. Antwort vom Verkehrsministerium BW enthielt ebenfalls eine Absage. Eine ordnungsrechtliche Vorschrift, die über die vorgestellten Lösungen in der Broschüre „Barrierefreies Bauen“ vom Verkehrsministerium hinausgingen, sei leider nicht möglich. In dieser Broschüre aus dem Jahr 2008 wurden lediglich bis zu 2 cm hohe Türanschlagdichtungen vorgeschlagen. Nullschwellen an Außentüren sind jedoch bereits sei 1996 für Hauseingänge und für Terrassen- und Balkontüren technisch gelöst. Doch auch trotz dieser Absage blieb ich am Ball!

Mitte November 2014: Aufgrund der 2. Antwort mit dem Verweis auf die Broschüre aus 2008 vom Verkehrsministerium BW habe ich in einem weiteren Schreiben die technisch gelösten Leistungsanforderungen von Nullschwellen-Dichtungen nochmals  explizit erläutert. Eine Antwort darauf steht noch aus. Weshalb fehlen diese technisch gelösten Leistungsanforderungen in der Broschüre Barrierefreies Bauen vom damals zuständigen Verkehrsministerium BW aus dem Jahr 2008?

Anfang Dezember 2014: Am 17.12.14 sollte damals die neue Liste der Technischen Baubestimmungen bekannt gemacht werden. Kurz zuvor habe ich den sozialpolitischen Sprecher der FDP Jochen Haußmann, alle Parteien im baden-württembergischen Landtag, alle verantwortlichen Politiker sowie den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und alle Minister in den Ministerien in Baden-Württemberg angeschrieben. Link zum entsprechenden Schreiben von mir – eine Antwort darauf steht noch aus.

 

Der große Nullschwellen-Durchbruch: Nach all den Schreiben ist es mir am 06.12.2014 mit Unterstützung aus der Selbsthilfe gelungen, auf einer Veranstaltung der Behindertenpolitik der Gründen direkt vor Verkehrsminiter Winfried Hermann all mein Wissen zum Thema Nullschwellen an Außentüren vortragen zu können – 10 Tage später ist der Nullschwellen-Runderlass vom Verkehrsministerium BW (trotz vormals zweimaliger Absagen der zuständigen Abteilung) veröffentlicht worden!

 

Unterstützende Nullschwellen-Vernetzung mit Vereinen und Verbänden

Gerade beim Thema Nullschwellen an Außentüren bieten Interdisziplinarität (Nutzung von Arbeits- und Denkansätzen aus mehreren beteiligten Professionen) und Schnittstellenkompetenzen zwischen den Fachbereichen Pflege/Expertentum in eigener Sache/Heilpädagogik und  den Fachereichen Baubranche/Architektur/Technik extrem spannende Vermittlungs-, Übersetzungs- und Lösungsansätze.

Bereits seit 2009 fordert die UN-BRK ein Universal Design, das jeder nutzen kann. Dieses Ziel ist in der Architektur an vielen Konstruktionsstellen möglich, z.B. an niveaugleichen Übergängen zwischen innen und außen mit Nullschwellen-Dichtungen für Außentüren, die technisch schon seit über 2 Jahrzehnten gelöst sind. Auch die Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der DIN 18040 forderte schon damals Nullschwellen an Außentüren, und das sogar als Regelfall! Im Bewusstsein der Brisanz des Nullschwellen-Themas habe ich mich auch nach den ersten Antworten aus dem Verkehrsministerium entschlossen dranzubleiben. Schon damals war mir klar, dass Nullschwellen insbesondere für die Hochrisikozielgruppen für Sturzgefahr (z.B. für ältere Menschen im Betreuten Wohnen) unabdingbar sind! U.a. bei Fußheberschwächen kann es leicht passieren, dass Nutzer an kleinen oder großen Türschwellen hängenbleiben und stürzen – eine Gefahr für Leib und Leben, die im Worst Case zu Bettlägerigkeit oder sogar Tod führen kann. Sturzpräventive Nullschwellen hingegen können derartig gefährliche Stürze und negative Folgen verhindern. Auch das Einsparpotential von ganzen Vordächern und Rinnen durch bereits erreichte Dichteklassifizierungen und Andichtungen mit höchstem industriellem Vorfertigungsgrad kannte ich schon damals. Es gab somit nicht einmal wirtschaftliche Gegenargumente bei einer ganzheitlichen Betrachtung des Nullschwellen-Themas. Die Vorteile zum Wohl der Allgemeinheit (u.a. Erfüllung der Expertenstandards Sturzprophylaxe, keine Rückbaukosten für die Pflegeversicherungen, keine Sturzbehandlungskosten für die Krankenkassen)  und zur Gesundheitsförderung, Selbstbestimmung und Teilhabe von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung ließen mich am Ball bleiben. Zahlreiche Experten in eigener Sache sowie Vereine und Verbände unterstützen meinen Nullschwellen-Einsatz.

Die Nullschwellen-Unterstützer

Aufgrund meiner interdisziplinären Qualifikationen und Schnittstellenkompetenzen zwischen Architektur und Pflege/Sozialem konnte ich eine unterstützende Vernetzungen mit Vereinen, Verbänden und Experten in eigener Sache mit Inklusionsbezug organisieren. Unter den folgenden Links erhalten Sie Einblicke in die schriftlichen Unterstützer-Schreiben, die ich aufgrund meines Aufrufes am 14.10.14 erhalten habe:

14.10.2014: Hans-Peter Matt vom Beratungs- und Planungsbüro mahp fordert für die Novellierung der LBO in Baden-Württemberg ebenfalls Schwellenfreiheit: „Hiermit möchte ich Sie bitten, die von Frau Ulrike Jocham aufgeführten Punkte und Vorschläge in ihren Schreiben vom 08.09.14 und 18.09.14 an alle Mitwirkenden bei der Novellierung der Landesbauordnung, zu berücksichtigen. Auch ich unterstütze diese Punkte und Forderungen als betroffener Rollstuhlfahrer mit Querschittlähmung sowie aufgrund meiner Arbeit und den Erfahrungen aus der täglichen Praxis.“ Komplettes Schreiben von Hans-Peter Matt

16.10.2014: Der Landesverband der Selbsthilfe Körperbehinderter (LSK) weist ebenfalls auf die Barrieren, großen Gefahren und wirtschaftlichen Nachteile durch 1 – 2 cm hohe Türschwellen hin. Der Vorsitzende Willi Rudolf unterstützt die Nullschwellen-Forderungen und verlangt: „Deshalb fordere ich alle Verantwortlichen auf, diese Lösungen in allen Vorschriften verbindlich vorzugeben.“

22.10.2014: Eltern von Kind mit Behinderung unterstützen ebenfalls Schwellenfreiheit bei der Novelle der LBO BW: „Sehr geehrte Politiker! Hiermit möchten wir Sie bitten, die von Frau Ulrike Jocham aufgeführten Punkte und Vorschläge in ihren Schreiben vom 08.09.14 und vom 18.09.14 bei der aktuellen Novellierung der Landesbauordnung hier in Baden-Württemberg zu berücksichtigen. Auch wir unterstützen diese Punkte und Forderungen als Eltern einer Tochter mit Behinderung.“ Komplettes Schreiben der Eltern

28.10.2014: Der GPS-Pflegedienst fordert ebenfalls gesetzliche Vorgaben, die mindestens im Neubau barrierefreies Systeme vorschreiben. 1 – 2 cm hohe Schwellen stellen für Pflegekräfte immense Barrieren dar, die Kraft durch Hebevorgänge erfordern. Schwellenfreiheit ist für Pflegekräfte und ältere Menschen sicherer, komfortabler und ergonomischer.

05.11.2014: Michael Schima als Experte in eigener Sache unterstützt ebenfalls die Nullschwellenforderungen für die neue LBO BW: „Leider werden Barrieren immer noch neu gebaut – gesetzlich erlaubt – mit DIN unterstützt – ENDLICH UMDENKEN… Für Schwellenfreiheit – Keine unnötigen Stolperfallen in privaten und öffentlichen Gebäuden und Wohnungen – UNTERSTÜTZEN!!!!“ Mehr Infos zu den Forderungen von Michael Schima

28.11.2014: Der Stadtbehindertenring Geislingen an der Steige fordert in einer Mail an einen breiten Verteiler (u.a. an Ministerpräsident Winfried Kretschmann) die Anwendung von längst vorhandenen Nullschwellen-Techniken und die Anpassung von Normen und Richtlinien im Sinne des Universal Design, z.B. für die Norm für Bauwerksabdichtung, so wie die UN-BRK im Artikel 4 f dies fordert.

09.12.2014: Zitat eines Heilerziehungspflegers (HEP) aus einem Artikel von mir: „Es liegt auf der Hand, dass Türen ohne Schwellen wichtig und besser sind, da muss man doch gar nicht darüber reden. Für viele, die einen Rollstuhl benutzen, kann auch eine Mauer in die Türe gebaut werden, die hat dann den gleichen Effekt wie zwei Zentimeter hohe Türschwellen, denn sie kommen nicht darüber.“ (Ulrike Jocham: Benutzerfreundlichkeit in der Architektur aus der Fachzeitschrift „BARRIEREFREI – Das Magazin, Ausgabe 06/2014)