Nur bestimmte Schwellen werden noch wirklich gebraucht!

Zwei Rentiere mit Behinderung zeigen neues Potential

Was haben Rentiere mit Vielfaltsmanagement zu tun? – Neue Zugänge durch liebevolle Versorgung und Wertschätzung

Im kleinen Rentierdorf „Ylitalo Poromatkailu“ im finnischen Lappland leben zwei ganz besondere Rentiere, Hugo und Niilo. Hugos Unterkiefer ist so verschoben, dass er nur ganz langsam fressen kann, und Niilo hat eine Vollerblindung. Trotzdem werden sie von ihren einfühlsamen Besitzern nicht ausgeschlossen und vermitteln behinderten und nicht behinderten Besucherinnen und Besuchern die Vielfalt des Lebens.

Hugo und Niilo leben mit vielen anderen Rentieren zusammen. Das Ehepaar Christina und Manne leiten das kleine Rentierdorf. Ein Teil der Rentiere hält sich das ganze Jahr über im Rentierdorf in verschiedenen Gehegen auf. Sie sind sog. „Touristenrentiere“, die den Gästen Erlebnisse mit Rentieren direkt vor Ort ermöglichen. Weiterhin zählt zu ihren Aufgaben im Winter, Schlitten zu ziehen oder den Gästen Wanderungen mit Rentieren zu ermöglichen. Der andere Teil der Rentiere, sog. Waldrentiere, lebt im Sommer frei in der Natur. Nur im Winter kommen sie zurück, um Nahrung zu bekommen. Hugo und Niilo werden das ganze Jahr über von Christina und Manne versorgt. Sie haben gemeinsam ein eigenes Gehege erhalten, das ihnen Sicherheit gibt. „Die beiden verstehen sich vom ersten Tag an ausgezeichnet“, berichtet Christina. Niilo kennt sein Gehege mittlerweile so gut, dass er sich mit seiner Vollerblindung räumlich orientieren kann. Niilo und Hugo fressen zusammen aus einem Futtertrog. „Hugo steht dabei immer auf der linken Seite, und Niilo immer auf der rechten Seite“, erklärt Christina weiter. Da nur die beiden sich in diesem Gehege aufhalten, haben sie ausreichend Zeit, in Ruhe zu fressen. Laut Christina benötigt Hugo mit seinem Maul viermal länger, als die anderen Rentiere in den anderen Gehegen.

Nillo, Christina, Hugo und Manne (von rechts nach links) auf Ihrem Rentierdorf im finnischen Lappland. Foto: Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Nillo, Christina, Hugo und Manne (von rechts nach links) auf Ihrem Rentierdorf im finnischen Lappland.

Lernpotentiale für Vielfalt (Diversity)

Die Liebe von Christina und Manne, die Hugo und Niilo bekommen, fällt auch den Gästen auf. So kann sich Manne an eine Mutter erinnen, die mit ihrem Sohn mit Behinderung zu Besuch da war und ihr Erlebnis mit Hugo und Niilo für folgende Stärkung ihrem Sohn gegenüber nutzte: „Schau mal, wie Christina und Manne Hugo und Niilo lieben, auch wenn sie anders aussehen. Und genauso ist es auch bei Dir. Wir lieben Dich so sehr, auch wenn Du anders aussiehst.”

Gerade beim Thema Behinderung gibt es noch häufig einen defizit- und problemorientierten Ansatz. Sieht z.B. jemand anders aus, wird es als Defizit gedeutet. Das ist beim Vielfaltsmanagement bzw. Diversitymanagement anders. „Diversity Management verfolgt einen ressourcen- und kompetenzorientierten Ansatz, der in der Vielfalt der Fähigkeiten, Sichtweisen, Erfahrungen und Talente vielfältiger Menschen eine wichtige gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Chance sieht.“ (Charta der Vielfalt, 2017: 13)

Achtsamkeit als Potential

„Hugo und Niilo achten gegenseitig aufeinander“, berichtet Christina. „Da frisst z.B. keiner dem anderen was weg.“ Auch die anderen Rentiere im kleinen Rentierdorf hätten ein gutes Verhältnis untereinander und würden sich auch beim Futtern nicht streiten. Doch Niilo und Hugo könnten jedoch nicht so schnell futtern, wie die anderen, und hätten in der freien Natur keine Überlebenschance.

Christina und Manne behandeln alle ihre Rentiere mit sehr viel Zuneigung. Dadurch eröffnen sich erstaunliche Erfahrungen. „Eines unserer Rentierkälber im Wald ist in einen Wassergraben auf einer Wiese gefallen und nicht mehr alleine herausgekommen. Seine Mutter ist dann zu unserem Haus gelaufen und hat sich so lange bemerkbar gemacht, bis Manne mitgekommen ist und dadurch dem Jungtier helfen konnte. Wir haben das verunglückte Tier aus dem Wasser zu uns nach Hause geholt, aufgewärmt und versorgt. Nur so konnte es überleben“, erzählt Christina.

Der Kinofilm „Ailos Reisen“

Aktuell läuft gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz der Kinofilm „Ailos Reisen“, in dem ein Rentier sein erstes Lebensjahr von der Kamera begleitet wird. Der ältere Hauptdarsteller in diesem Film ist ein Rentier von Christina und Manne namens „Prinssi“. Die beiden haben die Filmproduzenten zusammen mit ihren Rentieren unterstützt. Durch die gute Beziehung der Rentierzüchterin und des Rentierzüchters zu Prinssi und den anderen Rentieren konnten gelungene Naturfilmszenen mit Rentieren entstehen.

Text: Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

 

Das Rentierdorf: „Ylitalo Poromatkailu“ liegt 31 Kilometer von Posio und 90 Kilometer von Kuusamo entfernt.Gäste aus der ganzen Welt können das Rentierdorf entweder als Wochengäste besuchen oder im Winter Rentierschlittenfahrten buchen. Christina ist als Deutsche nach Finnland ausgewandert. Manne ist Finne.http://www.poromatkailu.fi/index.php/de/

 

Literaturverzeichnis

Charta der Vielfalt e.V.: Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion – Diversity Management in öffentlichen Einrichtungen und Verwaltungen, Berlin 2017, Download unter: https://www.charta-der-vielfalt.de/fileadmin/user_upload/Studien_Publikationen_Charta/Charta_der_Vielfalt-ÖH-2017.pdf

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