Nur bestimmte Schwellen werden noch wirklich gebraucht!

Landesbauordnung in Baden-Württemberg beim Thema „barrierfreie“ Außentüren für Bauherren nicht verständlich!?

In Baden-Württemberg erlaubt der § 35, Absatz 1 Satz1 der Landesbauordnung selbst in den sog. „barrierefreien Wohnungen“ Türschwellen bei den wichtigen Zugängen zu Terrassen und Balkonen. Der Freisitz ist laut diesem Paragrafen von der sog. „barrierefreien“ Zugänglichkeit und Nutzbarkeit komplett ausgenommen, nur die Räume in der Wohnung müssen „barrierefrei“ nutzbar und zugänglich sein: „In Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad und die Küche oder Kochnische barrierefrei nutzbar und mit dem Rollstuhl zugänglich sein.“ (§ 35, Absatz 1, Satz 1 der neuen LBO in BW). Sind derartige Gesetzestexte für Bürger verständlich?!

Ein anonymisierter Erfahrungsbericht von einem Bauherren in Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2015 gibt hierzu einen spannenden Einblick:
„Ein Bauträger erstellt 3 Wohnhäuser mit insgesamt 54 Wohnungen, davon in jedem der Gebäude 2 Penthousewohnungen mit umlaufenden Terrassen und 48 weiteren Wohnungen mit mindestens einer Ausgangstüre auf den zugehörigen Balkon, in den Parterrewohnungen auf eine balkonartige kleine Terrasse.

Die vom Bauträger gemäß § 35 Abs. 1 LBO BW in allen 3 Gebäuden als barrierefrei zugänglich bzw. erreichbar ausgewiesenen Geschosse sind die in den Dachgeschossenen belegenen Penthousewohnungen.

Die barrierefreie Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Penthousewohnungen schließen somit die jeweils darunterliegenden restlichen 48 Wohnungen und deren barrierefreie Erreichbarkeit automatisch mit ein.

Der Bauträger hat für den Verkauf der Wohnungen wie folgt geworben:
„Barrierefreier Zugang, auch in den Wohnungen barrierefrei“.

In den Kaufverträgen der Penthousewohnungen wurde innerhalb der beigefügten Grundrisszeichnungen zusätzlich folgender Passus aufgenommen :
„Alle Wohnungen des Dachgeschosses sind gemäß § 35 LBO-BW barrierefrei erreichbar und so einrichtbar, dass die Räume gemäß § 35 Abs. 1 LBO-BW mit dem Rollstuhl zugänglich sind“.

Die Käufer aller Wohnungen durften deshalb davon ausgehen, dass durch die Erfüllung dieser Vorschrift sowohl die barrierefreie Erreichbarkeit von der Straße über die Haustüre bis zum innen liegenden Lift, wie auch dieselbe von der Tiefgarage bis zum innen liegenden Lift und dann jeweils vor die ebenfalls barrierefrei zu gestaltenden Eingangstüren ihrer Wohnungen gewährleistet ist. Darüber hinaus durfte erwartet werden, dass die Wohnungen auch innen barrierefrei sind und die dem Sondereigentum zugehörigen Balkone bzw. Terrassenbereiche ebenfalls barrierefrei und demnach schwellenlos nutzbar sind.

Die Käufer der Penthousewohnungen durften ebenfalls davon ausgehen, dass nicht nur alle erworbenen Wohnungsbereiche, sondern auch die dem Sondereigentum zugehörigen Terrassenanteile barrierefrei erreichbar und zusätzlich mit dem Rollstuhl schwellenlos zugänglich sind.

Der Bauträger hat in der noch laufenden Bauphase in allen Wohnungen Dreh-Kipp-Flügeltüren zu den Balkonen bzw. zu den Terrassen einbauen lassen, deren Schwellenhöhe innen ca. 5-6 cm und außen ca. 7-8 cm beträgt. Gegen erheblichen Aufpreis bestand für alle Käufer eine Sonderwunschalternative in Form von Schiebetüren, die allerdings immer noch eine Schwellenhöhe von 2 cm aufweisen sollten.

Nach Intervention der Penthousekäufer hat der Bauträger für deren Wohnungen freiwillig eine Schiebetüre ohne jeden Aufpreis einsetzen lassen. Für die übrigen Ausgangstüren zu den Terrassenbereichen und bei den restlichen Wohnungen mit Balkon ist es bei den Dreh-Kipp-Flügeltüren mit den hohen Schwellen verblieben.

Die Terrassenbereiche der Penthousewohnungen sind teilweise durch Grünbepflanzung unterbrochen. Es gibt deshalb Ausgangsbereiche auf Terrassenbereiche, die über die zweiflügeligen, mit extrem hohen Schwellen versehenen Ausgangstüren nicht barrierefrei und insbesondere in Notfällen (z. Bsp. im Brandfall innerhalb der Wohnung) ohne fremde Hilfe mit dem Rollstuhl nicht erreicht werden können. In geringerem Umfang trifft dies auch für den Terrassenbereich zu, welcher mit der erwähnten Schiebetüre und einer 2 cm hohen Schwelle erreichbar ist.

Der Bauträger sieht trotz bestehender Bauvorschriften und insbesondere auch auf Grund seiner werblichen, aber auch vertraglichen Zusicherungen keine Veranlassung, die Ausgangstüren aller bestehenden Wohnungen barrierefrei und damit schwellenlos zu gestalten. Dies sei so nicht geschuldet, so seine ansonsten substanzlose Argumentation.

Er setzt sich demnach über die relevanten, am Tag der Baugenehmigung im Juli 2014 bestehenden Bauvorschriften hinweg. Nicht nur in Baden-Württemberg sind bereits seit Jahren Türschwellen generell zu vermeiden und seit 1.3.2015 gar nicht mehr zulässig. Einzige Ausnahme ist die technisch zu begründende Unabdingbarkeit, beispielsweise bei einem altersgerechten Umbau älterer Gebäude. Bei Neubauten stellt sich dieses Problem aber schon deshalb nicht, weil im Vorhinein entsprechend geplant und auf eine der zahlreich am Markt befindlichen schwellenlosen Produktlösungen zurück gegriffen werden kann.

Die Käuferschaft erwägt nun Erhebung einer Klage auf Umsetzung der mit dem Kauf der Wohnungen zugesicherten Eigenschaften. Nicht auszuschließen ist dabei auch die denkbare Klageberechtigung von Käufern auf Rückabwicklung der Kaufverträge und entsprechenden Anspruch auf Schadensersatz.“

Es wird höchste Zeit, den § 35 der Landesbauordnung in Baden-Württemberg zu ändern! Oder ist die mögliche und sichere Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Terrassen und Balkone für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung einfach nicht so wichtig???

Herzliche Grüße

U. Jocham

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