Mangel an Schnittstellenkompetenz ist in der 1. Antwort vom Verkehrsministerium BW (VM BW) zu erkennen. Dieses Schreiben gibt es in diesem Blogbeitrag zum Download inklusive einer Erläuterung der Hintergründe, die zur Entstehung des Nullschwellen-Runderlasses geführt haben. Die Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Antwort, habe ich erst vor kurzem beim VM BW angefragt und relativ rasch das OK am 17.03.20 erhalten.
Die 1. Antwort von der zuständigen Abteilung im VM BW vom 14.10.2014 vor der Entstehung des Nullschwellen-Runderlasses zeigt einen Mangel an Schnittstellenkompetenz. Wäre dies vorhanden, könnten wesentlich bessere Lösungen für die Allgemeinheit entstehen. Nur wer versteht, was verschiedene Menschen mit Behinderung, Senioren, pflegende Angehörige, Assistenten und Pflegefachkräfte in und von Wohnungen benötigen und mit diesem Wissen vorhandene technische Lösungen und mögliche technische Mindeststandards recherchiert, kann eine entsprechende Bauordnung verfassen. Doch die zuständige Abteilung im Verkehrsministerium war mit einem gebrauchsuntauglichen Anforderungsstandard zufrieden: „Auch im Wohnungsbau wird in der LBO barrierefreies Bauen vorgeschrieben. So müssen in neuen Wohngebäuden mit mehr als vier Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar und die wesentlichen Räume mit dem Rollstuhl zugänglich sein.“ Das bedeutet übersetzt, dass das Bad, die Küche sowie die Wohn- und Schlafräume zu diesem Zeitpunkt (2014) zwar bauordnungsrechtlich über breite Zugangstüren verfügen müssen, die Räume jedoch keine Bewegungsflächen haben müssen und im Bad die Dusche unbegrenzt hohe Duschschwellen aufweisen kann. Welcher Rollinutzer soll derartige Wohnungen nutzen können? Gerade die Gebrauchsuntauglichkeit von Bädern stellt häufig den Grund für einen Umzug in ein kostenintensiveres Heim dar. Welcher Rollinutzer kann derartige Wohnungen mit solchen Barrieren nutzen? Doch die zuständige Abteilung im Verkehrsministerium ist überzeugt, dass dieser Barrierenstandard die Lösung ist: „Damit möchte die Landesregierung das Angebot an barrierefreien Wohnungen spürbar erhöhen.“ Ein Bad mit Schwellen zur Dusche und Bewegungsflächen von kleiner als 120/120 cm Größe hat die Bezeichnung barrierefreie Wohnung nicht verdient – doch dieser Barrierenstandard war in den sog. „barrierefreien“ Wohnungen bis zu diesem Zeitpunkt in der LBO BW so formuliert. Alle Leser, die als Experten in eigener Sache, als pflegende Angehörige, als Assistenzen oder als Pflegefachkräfte praktische Erfahrungen aus der Nutzung von Wohnungen mit derartigen Barrieren erlebt haben, sind hier unterhalb vom Blogbeitrag herzlich eingeladen, einen Kommentar einzufügen.
Doch zurück zur 1. Antwort vom Verkehrsministerium BW, das aufgrund meiner Schreiben vom 08.09.2014 und 18.09.2014 entstanden ist, in welchen ich Nullschwellen in allen Neubauwohnungen fordere. Hinter diesem Vorschlag stehe ich noch heute! Aktuell im Jahr 2020 fordern sogar Experten für Bauwerksfinanzierung schwellenlose Gebäude für die Zukunftstauglichkeit. Doch der Bedarf in der Zukunft mitten in einer demografischen Krise war bereits 2014 längst bekannt. Es gibt keinen einzigen menschlichen Fuß, der eine Schwelle im Boden benötigt, um laufen zu können – im Gegenteil, jede Schwelle ist eine Stolpergefahr. Weiterhin gibt es kein einziges Rad, das sich über eine Schwelle besser fahren lässt, als über eine Nullschwelle. Auch wirtschaftlich spricht alles für Nullschwellen – einmal eingebaut Türschwellen können nur extrem kosten- und materialaufwendig zurückgebaut werden.
Bei einer längst bekannten demografischen Krise und einer beständig immer mehr belasteten Pflegeversicherung ist der immense Schaden schon längst vorhersehbar. Nullschwellen hätten schon zu diesem Zeitpunkt einfach eingefordert werden müssen und das insbesondere unabdingbar in allen neuen Pflegeimmobilien. Nur ein Mangel an Schnittstellenkompetenz lässt diese Argumentation seitens des VM BW erklären. Von wo sollen sich die Pflegeversicherung die Unkosten für die anstehenden Türschwellen-Rückbauten wieder einholen?
Wer haftet für diesen schwindelerregend hohen Schaden durch den Bau von den tausend und abertausend technisch komplett überflüssigen Türschwellen seit über 2 Jahrzehnten?
Auch Zuschüsse wären denkbar gewesen. Alles besser als beständig die Mittel für das „Altersgerechte Umbauen“ von der KFW aufstocken zu müssen und immer mehr Barrieren auf Kosten der Pflegeversicherung und der Nutzer abbauen zu müssen. Doch Dr. Alfred Reutzsch ist überzeugt, dass Nullschwellen nicht verlangt werden können: „Dieser Vorschlag begegnet jedoch erheblichen Schwierigkeiten. Er würde doch bedeuten, dass jedem Bauherrn vorgeschrieben wäre, wie er seine Wohnung als seinen privaten Lebensmittelpunkt zu gestalten hat.“ Welcher Bauherr besteht auf unergonomische Stolperfallen im Boden, wenn er erfährt, dass diese tatsächlich schon seit 1996 absolut wasserdicht und systemsicher Abdichten? Die bereits damals vorhandene Nullschwellen-Technik hat schon damals gezeigt, dass zusätzliche Rinnen und ganze Vordächer eingespart werden können. Wenn keine oder nahezu keine Mehrkosten entstehen, welcher Bauherr möchte dann trotzdem Schwellen im Boden erhalten???? Doch laut Reutzsch ginge eine Forderung nach Nullschwellen nicht: „Eine solche Vorschrift würde unverhältnismäßig in die Freiheit des Einzelnen eingreifen, zumal die Deckung des Bedarfs an barrierefreien Wohnungen auch nicht erfordert, dass alle Wohnungen barrierefrei hergestellt werden.“ Doch zumindest eine Forderung in den barrierefreien Wohnungen nach LBO inklusive aller Räume und Freisitze und in öffentlichen Gebäuden und in betreuten Wohnanlagen sowie in Heimen?!
Ich habe gezeigt, dass Veränderung möglich ist. Der Nullschwellen-Runderlass vom Verkehrsministerium BW wurde trotz aller hemmenden Aussagen von der zuständigen Abteilung im Verkehrsministerium veröffentlicht, obwohl in Schreiben vom 14.10.2014 folgendes steht: „Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass die Landesregierung den Gesetzentwurf zur Änderung der LBO bereits Anfang Juni 2014 in den Landtag eingebracht hat. Es ist daher nunmehr allein Sache des Landtags, im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren über das Gesetz zu entscheiden.“
Veränderung ist möglich – gebt niemals auf!!!
Auch die Bewegungsflächen von 120/120 cm im Bad, in der Küche sowie in den Wohn- und Schlafräumen wurde in die folgende neue LBO BW aufgenommen. Doch diese Verbesserung war mehr als überfällig – breite Zimmertüren, aber keine barrierefreie Nutzbarkeit in den Räumen – wo bleibt die Erforschung derartiger Anforderungen in Landesbauordnungen mitten in einer demografischen Krise und einer längst umzusetzenden UN-Behindertenrechtskonvention?
Doch Achtung, trotzdem verdienen diese Wohnungen nicht die Bezeichnung „barrierefrei“, denn auch diese bauordnungsrechtlichen Anforderungen ermöglichen immer noch gebrauchsuntaugliche, gefährliche und ausgrenzende Barrieren in der täglichen Nutzung von sehr vielen Nutzerzielgruppen.
Schon längst geforderte Sturzprävention in der Architektur
Bei allen Hochrisikozielgruppen für Sturzgefahr waren schon zu diesem Zeitpunkt allein aus Sicht der geforderten Sicherheit Nullschwellen unverzichtbar. Gerade bei älteren Menschen weiß jeder, was passieren kann, wenn jemand stürzt.
Wir müssen dringend über solche Mängel an Schnittstellenkompetenzen seitens der Zuständigen, die Landesbauordnungen verfassen, öffentlich diskutieren. Wir brauchen dringend selbstständigkeitsfördernde und pflegeerleichternde Wohnungen.
Mangel an Schnittstellenkompetenz: Die 1. Antwort vom Verkehrsministerium BW, die vor Entstehung des Nullschwellen-Runderlasses verfasst wurde, gibt es hier: 1. Schreiben vom Verkehrsministerium BW vor Nullschwellen-Runderlass