Die Stadt München weist mit rund 320 Nullschwellen in insgesamt 4 Schulbauten neue Wege für eine inklusive und nachhaltige Architektur
von Ulrike Jocham, Frau Nullschwelle®
München zeigt, dass Inklusion in der Architektur möglich ist. Neben der Grundschule Bauhausplatz bieten weitere drei neue Schulbauten konsequente Türschwellenfreiheit an zahlreichen Außentüren. Alle Eingangsbereiche im Erdgeschoss und alle Türen zu den Fluchtbalkonen wurden als Nullschwelle ausgeführt. Insgesamt 319 langzeitbewährte Magnet-Nullschwellen wurden verbaut, welche alle Kinder und Erwachsene mit und ohne Behinderung komfortabel und sicher nutzen können. Bei Menschen mit Behinderung sind dabei alle Behinderungsbilder („Behinderungsarten“) gemeint – niemand braucht mehr an diesen Konstruktionsstellen Benachteiligung oder Ausgrenzung erleben. Gleichzeitig wird die ergonomische Nutzbarkeit der Schulgebäude für alle Menschen verbessert. Dieser Münchner Erfolg macht Mut zukünftig nicht nur barrierefrei, sondern nachhaltig inklusiv zu gestalten.
Für alle nutzbar
Inklusion bedeutet ganz einfach erklärt, dass jeder teilhaben kann. An Schulen werden dafür nicht nur neue Lernkonzepte, sondern auch eine neue Gestaltung in der Architektur benötigt, welche tatsächlich niemanden ausgrenzt. Erfahrungsgemäß tauchen immer wieder Aussagen auf, in welchen behauptet wird, dass es nicht möglich sein soll, für alle Behinderungsbilder eine geeignete Gestaltung zu finden. Dies trifft aktuell noch auf bestimmte Konstruktionsbereiche wie z.B. Montagehöhen von Bedienelementen und Türgriffen zu. Doch fachgerecht verbaute Nullschwellen an Eingangstüren und an Terrassen- und Balkontüren hingegen erfüllen die extrem hohen interdisziplinären Anforderungen an Inklusion in der Architektur vollumfänglich. Mit allen Assistenzsystemen/Hilfsmitteln (z.B. Walker/Rollator, Rollstuhl, Gehhilfen, Hubwagen, Sackkarren, Kinderwagen) können die von der Stadt München verbauten Nullschwellen ohne großen Kraftaufwand und ohne jegliches Anheben oder Hängenbleiben ganz einfach passiert werden. Doch was ist bei Sehbehinderung und Vollerblindung?
Interdisziplinarität erforderlich
Menschen mit Sehbehinderung und Vollerblindung benötigen im öffentlichen Straßenraum taktil erfahrbare Höhenunterschiede, um sich zwischen gefährlicher Straße (Lebensgefahr!) und sicherem Gehweg orientieren zu können, jedoch nicht an Außentüren in einer Fassade. Hier ist ein völlig anderer räumlicher Kontext gegeben. An diesen Konstruktionsstellen gibt es z.B. Türrahmen, Wände und verschiedene Bodenmaterialien, die benötigte Rauminformationen und Orientierung zu bestimmten Zielen im und außerhalb des Gebäudes ermöglichen. Eine technisch überholte Türanschlagdichtung wird auch von dieser Zielgruppe an diesen Konstruktionsstellen nicht benötigt, im Gegenteil Menschen mit Sehbehinderung und Vollerblindung erleben Türschwellen ebenfalls als ergonomisches Hindernis. Mehr dazu unter: https://www.die-frau-nullschwelle.de/menschen-mit-vollerblindung-brauchen-keine-tuerschwelle/
Architektur ohne Exklusion
Für die Nutzer*innen der vier Münchner Grundschulen erwirkt die realisierte Nullschwellen-Erschließung, dass alle Menschen die Innenräume und die angrenzenden Außenräume auch nach Jahrzehnten noch nachhaltig ergonomisch, sturzpräventiv und sicher erreichen können. Die ansonsten bis heute häufig noch verbauten 1 – 2 cm hohen Türanschlagdichtungen stellen im Gegensatz dazu für viele Kinder und Erwachsene mit Behinderung zugemauerte Türen dar, weil sie einfach nicht darüber kommen. Derartige Ausgrenzungen (Exklusionen) stehen im Widerspruch zu den Zielen von Inklusion.
Die Schulgebäude
Die vier gleichzeitig zu erstellenden Schulgebäude wurden in modularer Bauweise nach dem „Münchner Lernhauskonzept“ von der wulf Architekten GmbH aus Stuttgart geplant. Das pädagogische Konzept sieht vor, dass jeweils ein Grundschulzug (Klasse 1 – 4) gemeinsam in einem Cluster lernt – also quasi eine kleine Schule in einer großen Schulgemeinschaft bildet. Ein Cluster besteht immer aus Klassenzimmern und weiteren Räumen, die sich um ein sogenanntes inneres „Forum“ anordnen. Die Fluchtwege befinden sich alle je Stockwerk um die jeweiligen Cluster außen vor der Fassade. Auch diese können durch die konsequente Nullschwellen-Erschließung von allen Menschen ergonomisch und sturzpräventiv sicher erreicht werden. Dadurch ist eine barrierefreie und inklusive Zugänglichkeit zu den Fluchtwegen vorhanden, ohne Sturzgefahren oder andere Hindernisse im Brand- und Panikfall.
Das „Münchner Lernhauskonzept“ fordert aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention, neben der klassischen Barrierefreiheit, Inklusion und folglich eine inklusive Innen- und Außengestaltung. Entsprechende Verbindungen und Übergänge zwischen innen und außen sind dafür unabdingbar. Dank der Nullschwellen konnte die Stadt München neben dem Aspekt der Inklusion noch weitere Erfolge erreichen. Die bauordnungsrechtlich eingeführte DIN-Norm für barrierefreies Bauen in öffentlich zugänglichen Gebäuden (DIN 18040-1) fordert die Ausführung von barrierefreien Übergängen ohne technisch überholte Türanschlagdichtungen. Dies konnte bereits 2013 mit der Nullschwellen-Stellungnahme vom Deutschen Institut für Normung e.V. geklärt werden. Doch diese bedeutende Klarstellung ist bis heute bundesweit noch viel zu wenig bekannt und führt deshalb bei Nichtumsetzung zu immensen Haftungsgefahren für alle Bauverantwortlichen. Bei diesen vier Münchner Grundschulen hingegen konnte diese Anforderung der Bayerischen Bauordnung und der bayerischen Verwaltungsvorschrift der technischen Baubestimmungen Dank der Magnet-Nullschwellen mit Bravour und nachhaltiger Haftungssicherheit gemeistert werden.
In der Bauzeit zwischen 2015 und 2017 war die Technik der Magnet-Nullschwelle die einzig auf dem Markt vorhandene Nullschwellen-Abdichtungstechnik für Außentüren. Die technische Funktionstauglichkeit und Systemsicherheit belegt diese bereits seit 1996 und bewährt sich folglich auch im Schulbau. „Die Magnet-Nullschwellen in unserem Schulgebäude funktionieren. Bis heute ist kein Wasser ins Gebäude eingedrungen“, berichtet der Hausmeister S.M. der Grundschule am Bauhausplatz. Die Vorteile von inklusiven Nullschwellen kann er regelmäßig beim Transport von benötigten Gegenständen in die Schule persönlich erleben. „Wenn ich mit meinem Hubwagen Großlieferungen z.B. von Toilettenpapier in die Schule fahren möchte, gibt es bei uns keine Kante, an welcher der Hubwagen hängen bleibt. Ich kann ohne großen Kraftaufwand einfach über die Nullschwellen fahren. In anderen Gebäuden habe ich es oft erlebt, dass ich den Wagen mühevoll anheben musste und dass die Gegenstände darauf durch das Anheben oder durch Anstöße an die Kante heruntergefallen sind.“ All diese Mühen sind in der Grundschule Bauhausplatz und an den anderen drei Grundschulen Dank der konsequenten Schwellenlosigkeit nicht notwendig. Inklusiv Gestalten führt bei einer interdisziplinär fachgerechten Umsetzung zu einer räumlichen Verbesserung für alle.
Text: Ulrike Jocham, Frau Nullschwelle®, Dipl.-Ing. in Architektur und Heilerziehungspflegerin
Eingangstüren und Fensterelementfassaden: Die 319 inklusiven und barrierefreien Nullschwellen wurden von zwei Türen- und Fensterbau-Unternehmen verbaut: Die Schreinerei Köppl aus Eschlkam-Seugenhof hat für zwei Grundschulen (Grundschule Ruth-Drexel-Straße und Grundschule Bauhausplatz) insgesamt 90 Magnet-Nullschwellen-Außentüren (Eingangstüren und Fenstertüren) gefertigt und diese dort eingebaut. http://www.schreinerei-köppl.de 229 Magnet-Nullschwellen-Außentüren (Eingangstüren und Fenstertüren) wurden von der Federle Holzbearbeitung GmbH aus Fultenbach gefertigt in der Grundschule Gustl-Bayrhammer-Straße (insgesamt 131 Nullschwellen) sowie in der Grundschule Aubinger Allee (insgesamt 98 Nullschwellen) verbaut. https://www.federle-holzbearbeitung.de
Die vier Münchner Grundschulen mit Nullschwellen-Erschließung: Der Münchner Stadtrat hat im Jahr 2012 entschieden, für die vier Schulen (Grundschule Aubinger Allee, Freiham; Grundschule Gustl-Bayrhammer-Straße, Freiham; Grundschule Ruth-Drexel-Straße, Bogenhausen; Grundschule Bauhausplatz, Schwabing-Freimann) einen Realisierungswettbewerb auszuloben – basierend auf dem Grundprinzip des modularen Lernhauskonzepts. stadt.muenchen.de/infos/grundschule-bauhausplatz Im Oktober 2013 ging der Entwurf von wulf Architekten aus Stuttgart als Sieger aus dem Realisierungswettbewerb hervor. Er lieferte ein flexibles Baukastensystem mit dem Lernhaus als Grundeinheit. Je nach Bedarf lassen sich mehrere Lernhäuser stapeln und mit anderen Funktionen kombinieren. So können die jeweiligen Erfordernisse des Standorts sowie der Schulgröße berücksichtigt werden. https://www.wulfarchitekten.com