Nur bestimmte Schwellen werden noch wirklich gebraucht!

Die Novelle der LBO BW im Jahre 10 der UN-BRK – ein Neujahrsbrief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Die Novelle der LBO BW im Jahre 10 der UN-BRK – es gibt viel zu tun! (LBO steht für Landesbauordnung Baden-Württemberg)

Stuttgart, 02.01.19: Ein offener Neujahrsbrief persönlich an Ministerpärsident Winfried Kretzschmann von Ulrike Jocham, der Frau Nullschwelle

Bald 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – Wo bleibt die Umsetzung bei der aktuellen Novelle der LBO BW?! Wo bleibt eine bürgerorientierte Demografiestrategie? Ein offenes Neujahrschreiben mit Inklusions- und Demografiepotential

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Winfried Kretschmann,

mit der Bitte um zeitnahe klare Handlungen auch bei den Anpassungen der Landesbauordnung Baden-Württemberg im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), sende ich Ihnen meine Stellungnahme zu. Es geht um Lösungen für den demografischen Wandel und die Inklusion in der Architektur – die bisher praktizierte Verhinderungspolitik der Landesregierung Baden-Württemberg führt jedoch nicht dazu. Meine Nullschwellen-Petition war eine weitere Gelegenheit für mich, Einblicke in erstaunliche Abläufe innerhalb Ihrer Landesregierung zu erhalten. Doch diese Stellungnahme hier schreibe ich als Expertin, die sich seit über 25 Jahren für Barrierefreiheit und Inklusion einsetzt. Ich bin Heilerziehungspflegerin, Dipl.-Ing. in Architektur und Bausachverständige für Barrierefreiheit, Universal Design, Inklusion und Nullschwellen. Mein Expertenwissen wird durch meine disziplin- und fachübergreifende Publikationsliste unterstrichen. Der demografische Wandel und die UN-BRK erfordern als Querschnittsthema die Beteiligung mehrerer beteiligter Professionen und ein unverzichtbares Schnittstellenwissen.

Auf dieser Zeichnung ist eine Terrassentür zu sehen, die im offenen Zustand halb zugemauert ist, um die Wirkung von 1 -2 cm oder 5 - 15 cm hohen Türschwellen darzustellen. Egal ob kleine oder große Türschwellen, es gibt immer mehr Menschen, die kommen nicht darüber. Türschwellen auch schon ab 1 cm Schwellenhöhe können die Wirkung einer Mauer haben, sie sind für einige Menschen unpassierbar. Weiterhin stellen sie für alle Menschen eine Sturzgefahr dar und insbesondere für ältere Menschen und Kinder. Deshalb werden dringend überall Nullschwellen benötigt. Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Türschwellen sind nicht barrierefrei. Für immer mehr Menschen haben sie die Wirkung einer Mauer, sie kommen einfach nicht darüber. Zeichnung: Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

Unbelegte Behauptungen: Betreute Wohnanlangen sollen nicht barrierefrei sein?!

Laut der UN-BRK und dem § 39 der LBO BW und dem Kommentar des Boorberg Verlages zum § 39 LBO BW müssen auch Altenwohnungen, also auch „Betreute Wohnanlagen“ komplett barrierefrei sein. Doch weshalb behaupten AmtsinhaberInnen wie die Ministerialdirigentin Kristin Keßler, die Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut und der Verfasser einer mangelhaften Beschlussempfehlung Epple, dass „Betreute Wohnanlagen“ nicht barrierefrei gebaut werden müssten? Bis heute habe ich nur Behauptungen ohne Beleg erhalten. Wo soll dies denn genau stehen? Und weshalb argumentieren diese 3 Amtsinhaber im Jahr 2018, rund 10 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK so? Wo bleibt die Interessensvertretung für die älteren Bürger, wenn selbst Seniorenwohnungen nicht barrierefrei sein sollen? Betreute Wohnanlagen werden auf dem Immobilienmarkt meist als barrierefreie Wohnungen beschrieben und verkauft. Doch die Erfahrung zeigt, dass viele Bauträger ihre Kunden nicht über eine mögliche Barrierefreiheit und Sturzprävention in der Architektur aufklären. Erkennen die Käufer dann später beim Bau oder nach Fertigstellung Barrieren, verweisen viele Bauverantwortliche auf den § 35 LBO BW: Betreute Wohnanlagen müssen nach diesem Paragrafen nicht barrierefrei sein?! Und auch hier kann ich nur nochmals betonen, im § 39 Absatz I der LBO BW werden „Wohnungen für Menschen mit Behinderung“ und „Altenwohnungen“ wortwörtlich aufgeführt. Demnach müssen Altenwohnungen komplett barrierefrei gebaut werden. Auch im Kommentar vom Boorberg Verlag stehen zum § 39 LBO BW gleich mehrere Seiten, in denen ältere Menschen als oberstes Schutzzielgruppe aufgeführt werden, für die Ausnahmen unzulässig sind und alle Gebäude, die vorwiegend (schon ab 50 %!!!!!!) von dieser Zielgruppe genutzt werden, nach § 39 LBO BW gebaut werden müssen, also komplett barrierefrei. Bitte reichen Sie zeitnah konkrete Belege nach? Wie hat die Wirtschaftsministerin bei so einer fragwürdigen und bis heute unbelegten Vorgehensweise dafür gesorgt, dass Käufer von Seniorenwohnungen in „Betreuten Wohnanlagen“ zumindest vor dem Kauf erfahren, dass diese gar nicht barrierefrei sein sollen?

Änderung der LBO BW nach UN-BRK

Laut der UN-BRK sind Sie verpflichtet auch die LBO BW entsprechend zu ändern. Ziel und auch technisch sowie wirtschaftlich möglich ist schon längst der von mir aufgestellte Universal-Design-Mindeststandard (siehe weiter unten). Jedoch unverzichtbar sind folgende Änderungen:

  1. Die LBO BW muss im § 35 mindestens komplett barrierefreie Wohnungen fordern. Der bisherige § 35 der LBO BW verlangt Barrierefreiheit maximal nur für das innere der Wohnungen, die dazugehörigen Terrassen und Balkone sind ausgenommen. Leider ist dies auch noch so formuliert, dass die Bürger erfahrungsgemäß überhaupt nicht verstehen, dass die Freisitze nicht barrierefrei sein müssen. Zusätzlich fehlt beim Verkauf derartig fragwürdiger Wohnungen (die die Bezeichnung barrierefrei einfach nicht verdienen, weil sie nicht barrierefrei sind) bis heute die klare Verpflichtung, jeden Käufer im Vorfeld auf diesen beachtlichen Mangel hinweisen zu müssen. Weshalb haben Sie bisher die Bezeichnung barrierefreie Wohnungen erlaubt, wenn diese Barrieren enthält? Weshalb war Ihnen die Aufklärung der Bürger kein Anliegen? Seit fast 10 Jahren nun schon ist die UN-BRK in Kraftgesetzt. Nach so einer lagen Zeit ist es nun mehr als längst überfällig, dass im § 35 LBO BW natürlich auch die Balkone und Terrassen der barrierefreien Wohnungen auch barrierefrei zugänglich und barrierefrei nutzbar sein müssen. Hessen hat eine derartige Formulierung vor Ihnen doch auch geschafft, sowie weitere Bundesländer!!!
  1. Hinzu kommt, dass in der LBO BW im § 35 viel zu wenige sog. „barrierefreie“ Wohnungen gefordert und vorgeschrieben werden. Wie wollen Sie den aktuellen und zukünftigen Bedarf an barrierefreien Wohnungen decken? Bitte erhöhen Sie dringend die Anzahl.

Im Gesetzentwurf vom 07.09.18, über den ich leider sehr spät und nur durch Zufall informiert wurde, wird unter anderem das Ziel beschrieben, die baulichen Standards mit dem neuen Gesetzentwurf modifizieren und abbauen zu wollen, damit das Bauen verbilligt werden solle. Wo bleibt mit diesem Gesetzentwurf der dringend notwendige ressortübergreifende Ansatz mit ausreichendem Wissen zu komplexen Querschnittsthemen wie dem demografischen Wandel und die vorgeschriebene Umsetzung der UN-BRK? Wir brauchen Innovation, um derartig große Probleme zu lösen. Und echte Innovation gibt es bekannterweise nur außerhalb der Systeme. Wo bleiben fachliche Recherchen, Wissen und ein Weitblick in die Zukunft in dem Gesetzentwurf vom 07.09.18?

Auch wirtschaftlich gibt es keine Gründe mehr an Barrierefreiheit und Nullschwellen zu sparen!!!

Es gibt längst mögliche Einsparpotentiale durch industrielle Vorfertigungen, die mehr als spannende wirtschaftliche Lösungen für eine Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen darstellen und gleichzeitig Inklusion ermöglichen. Beispielsweise mit der Technik der industriell vorgefertigten Magnet-Nullschwellen ist die Einsparung ganzer Rinnen und Vordächer machbar. Langzeitbewährte Einbaubeispiele, höhere technische Dichteklassifizierungen und Ergebnisse von Forschungsberichten anerkannter Experten für Bauwerksabdichtung untermauern dieses Leistungs- und Einsparpotential. In zahlreichen Publikationen habe ich dies mehrfach genau recherchiert und belegt. Weiterhin bieten neue Bauweisen eine höchst interessante Möglichkeit derartig effiziente Kostensenkungseffekte zu erzeugen, dass an Barrierefreiheit, Universal Design, Inklusion, Demografietauglichkeit und Nachhaltigkeit definitiv nicht mehr herumgespart werden muss. Mehr Infos dazu finden Sie in meinem neuen Text, den die Fachzeitschrift BEHINDERTE MENSCHEN bereits öffentlich gemacht hat „INKLUSIVE WOHNARCHITEKTUR MIT VERNETZUNG ZUM GEMEINWESEN“.

Bei meinen Alterssimulationstrainings können Menschen persönlich erleben, was bis zu 2 cm hohe Türschwellen bei Einschränkungen bedeuten können. Vielleicht fehlt in Ihrer Landesregierung genau diese Bewusstseinserweiterung?! Herr Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Sie sind ganz herzlich eingeladen bei meinem Alterssimulationstraining teilzunehmen! Gerne komme ich auch zu Ihnen! Vielleicht ist das die entscheidende Stellschraube, die bis jetzt zum gegenseitigen Verstehen gefehlt hat?!

Mit freundlichen Grüßen

Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle

 

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